Ein Muskelfaserriss in der Wade oder im Oberschenkel zählt zu den häufigsten Verletzungen bei Sportlern.
Allgemeine anatomische Grundlagen von Muskeln und der Wade
Der Muskelanteil beim Menschen beträgt nach Literaturangaben etwa die Hälfte des Körpergewichts, bei Männern in der Regel mehr als bei Frauen. Des Weiteren besitzt der Mensch über 640 Muskeln. Muskeln können sich kontrahieren (zusammenziehen) und verkürzen. Durch Sehnen am Knochen befestigt, üben sie einen Zug aus, im Sinne von mechanischer Arbeit. Ferner fördern sie die Blutzirkulation beim Rückstrom zum Herzen.
Jeder Muskel besteht aus einzelnen Muskelfasern, die zusammen mit einer Hülle aus Bindegewebe ein Muskelfaserbündel bilden. Eine Vielzahl von Muskelbündeln bildet letztlich einen Muskel. Bei ihnen handelt es sich um quergestreifte Muskeln, die für die Bewegung und motorischen Funktionen beim Menschen dienen. Die Muskelfasern werden von Blutgefäßen und Nerven versorgt, die sich im Bindegewebe befinden. Verschiebungen von einzelnen Muskelgruppen erfolgen im Bindegewebe bei Bewegungen.
An der Wade befinden sich oberflächliche und tiefe Wadenmuskeln. Zu den oberflächlichen Wadenmuskeln zählt der Musculus triceps surae (dreiköpfiger Wadenmuskel), der aus dem Musculus gastrocnemius (Zwillingsmuskel mit zwei Köpfen, medial und lateral) und dem Musculus soleus (Schollenmuskel) besteht. In der Literatur wird, allerdings unterschiedlich, noch ein weiterer dazugehöriger Muskel, Musculus plantaris (Sohlenspanner), erwähnt. Tiefe Wadenmuskeln betreffen den Musculus tibialis posterior (hinterer Schienbeinmuskel), Musculus flexor hallucis longus (langer Großzehenbeuger), Musculus flexor digitorum longus (langer Zehenbeuger) und Musculus popliteus (Kniekehlenmuskel).
Ursachen eines Muskelfaserrisses
Durch eine erhöhte und ruckartige Belastung oder Dehnung kann es zum Muskelfaserriss oder Muskelbündelriss vor allem in der Wade oder dem Oberschenkel kommen. Besonders betroffen sind Sportler beim Sprint mit abrupter Beschleunigung, Richtungswechsel, zum Beispiel beim Fußball, Rugby, Tennis, Handball, Hockey, Gewichtheben mit Stopp-Bewegung oder Skiabfahrt.
Weitere Risiken betreffen:
- Muskeldysbalancen
- Längere Trainingspause
- Fehlendes Stretching oder Aufwärmen vor Sportbeginn
- Vorausgegangene Verletzungen
- Infektionen
- Einnahme von Anabolika (verbotene Mittel zum Aufbau körpereigener Stoffe)
- Falsche, ungeeignete Schuhe
Die Einteilung von Muskelläsionen erfolgt in:
- Muskelprellung, Kontusion oder umgangssprachlich Pferdekuss:
Ursächlich kommen ein dumpfer Schlag, im Sport ein Zusammenstoß mit dem Gegner oder ein Tritt, infrage. Eine Hautverletzung liegt nicht vor. Druckschmerzen, Ödem (Flüssigkeitsaustritt vor allem der geschädigten Lymphgefäße), sichtbares Hämatom (Bluterguss) und gegebenenfalls Bewegungseinschränkung sind die Folgen.
- Muskelzerrung:
Hierbei findet eine massive Muskeldehnung über das physiologische Maß statt. Dadurch kommt es zu plötzlichen Druck- und Dehnungsschmerzen, Verhärtung im betroffenen Muskel und im weiteren Verlauf zu krampfartigen Muskelschmerzen. Risse im Muskel liegen nicht vor. Im MRT (Magnetresonanztomografie) ist ein Ödem nachzuweisen.
- Muskelfaserriss:
Dabei reißen ein oder mehrere Muskelfasern im lädierten Muskel. Typisch ist ein plötzlicher, starker, stechender, anhaltender Schmerz, der sich bei Druck und Dehnung verstärkt. Betroffene nehmen sofort eine Schonhaltung ein, infolge Kraftminderung und schmerzhafter Bewegungseinschränkung. Ferner treten Schwellung und meistens ein ausgeprägtes Hämatom auf (Abb. 1 a – 1b). In der betroffenen Muskelregion ist oftmals eine Delle sichtbar oder auch zu tasten – vor allem, wenn ein Riss in der Muskelfaszie vorliegt. Je nach Ausmaß der Muskelschädigung wird ein Muskelfaserriss in zusätzliche Grade unterteilt. Beim Grad I reißt nur eine Muskelfaser, bei Grad II reißt das gesamte Muskelbündel, das aus mehreren Muskelfasern besteht, und der schwerste Grad III geht mit einem Riss des gesamten Muskels (s. u. Grad 4) einher.
- Muskelriss:
Bei einem Muskelriss oder Muskelabriss treten ein plötzlicher, starker, permanenter Schmerz und ein massives Hämatom (Bluterguss) auf. Die Muskelkraft ist aufgehoben und somit der Muskel nicht mehr belastbar. Der Betroffene nimmt sofort eine Schonhaltung ein.
Diagnostik
Wichtig ist die Erhebung einer ausführlichen Anamnese, vor allem über den Hergang der Verletzung. Es folgen Inspektion und Palpation (s. u. 3. Muskelfaserriss). Bildgebende Verfahren zur Absicherung der Diagnose betreffen Sonografie und Magnetresonanztomografie (MRT).
Therapie
In der Regel wird ein Muskelfaserriss konservativ behandelt.
Als erste Maßnahme kommt die PECH-Regel zur Schmerzreduzierung und Minimierung der Hämatombildung infrage:
- Pause zur Verhinderung weiterer Belastung;
- Eis (nach Auflegen eines Tuchs auf die Haut) zur Schmerzlinderung, Abschwellung und Reduzierung einer Einblutung in das umliegende Gewebe, mehrmals am Tage für etwa 15 Minuten;
- Compression zur Verringerung einer massiven Schwellung und weiteren Einblutung ins Gewebe;
- Hochlagerung der Extremität zur Entlastung und Einschränkung der Blutung.
Zur Schmerzbehandlung sind anfangs ergänzend Analgetika (schmerzlindernde oder schmerzstillende Mittel) oder kurzzeitig NSAR (nicht steroidale, kortisonfreie Antirheumatika) und kühlende Salbenverbände hilfreich. Nach Abklingen der akuten Phase dienen sie zur Wiederherstellung der Muskelfunktion und Vorbeugung einer Muskelatrophie Physiotherapie und Massagen.
Die Heilungsphase des Muskels beträgt je nach Ausmaß der Läsion und Einhaltung der notwendigen Entlastung 3 bis 12 Wochen. Unbedingt ist bis zur Abheilung eines Muskelfaserrisses an der Wade eine Trainingspause einzulegen. Indikationen für eine operative Therapie bestehen bei einem kompletten Muskelriss und gegebenenfalls bei massiven Einblutungen.
Prophylaxe für Sportler
Wichtig ist vor jedem Training oder Wettkampf ein Aufwärmen für mindestens eine Viertelstunde. Des Weiteren ist zum Dehnen der Muskulatur Stretching notwendig. Zwischendurch sind Entspannungsphasen zu berücksichtigen. Die Sportkleidung sollte der jeweiligen Witterung angepasst sein. Passende und geeignete Sportschuhe garantieren gleichmäßige Belastungen für die Füße, Knie- und Hüftgelenke und letztlich auch für die Wirbelsäule.